Hipster: Vom Verschwinden eines Sozialtypus

Der Hipster galt lange Zeit als Feindbild und Projektionsfläche. Dann war von ihm kaum mehr die Rede. Was ist aus dem Hipster geworden?

  • Robert Zwarg
  • Lesedauer: 7 Min.
Subkultur zum Mainstream: Der Hipster ist nicht verschwunden, aber er hat das Erregungspotenzial verloren.
Subkultur zum Mainstream: Der Hipster ist nicht verschwunden, aber er hat das Erregungspotenzial verloren.

Nicht allzu lange ist es her, da war die Rede vom Hipster omnipräsent. Vehement wurde er in Graffiti, auf Stickern und lieblosen Pappschildern in Schaufensterauslagen aufgefordert, sich »zu verpissen«. Man denunzierte ihn als Agenten der Gentrifizierung, deren Teil man oft selbst war, und amüsierte sich im Kneipengespräch und in Feuilletonbeiträgen über die Oberlippenbärte, Truckermützen, Jutebeutel, Gürtelschnallen und subkulturelle Besserwisserei.

Die Chemnitzer Band Kraftclub wurde mit dem Song »Ich will nicht nach Berlin« berühmt, der vom – durchaus paradigmatischen – Berliner Hipster handelt, ohne ihn beim Namen zu nennen: Er war zugezogen aus der Provinz, hatte »Projekte«, trank Latte Macchiato mit Sojamilch, arbeitete bevorzugterweise im Café und gehörte im weitesten Sinne der Kreativbranche an.

Der Hipster war Hassobjekt und Projektionsfläche, kaum jemand nahm für sich in Anspruch, einer zu sein, aber überall, besonders in den Großstädten, war er in der Überzahl. Während Walter Benjamin 1931 die kreative Zerstörung des »destruktiven Charakters« – »jung und heiter«, »immer frisch bei der Arbeit«, ein »Feind der Etui-Menschen« – noch geradezu bewundernd besang, war man sich am Beginn des 21. Jahrhundert einig, dass vom destruktiven Charakter der Hipster nur Schlechtes kommen konnte.

Der Hipster verschwindet

Seinen Höhepunkt erreichte die Hipster-Diskussion um das Jahr 2015, danach nahm sie stetig ab. Als der französische Essayist Grégory Pierrot 2022 noch einmal zum polemischen Rundumschlag gegen den Hipster ausgeholt hatte, bediente er sich zwar durchaus zeitgemäß der dekolonialen Diktion und warf dem Hipster neben Gentrifizierung auch kulturelle Aneignung und Diskriminierung vor, was Chris W. Wilpert in einer Rezension richtig als simplifizierende Sündenbocktheorie bezeichnete. Aber Pierrots Invektive war anachronistisch, denn die Sozialfigur des Hipsters hatte längst seinen symptomatischen Charakter und seine affektive Besetzung verloren. Soweit wahrnehmbar, fühlte man sich weder angesprochen noch konnte man sich darüber empören.

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Das Interesse, das dem Hipster zuerst in den USA Ende der Nullerjahre und mit etwas Verspätung auch in Deutschland entgegengebracht wurde und sich in zahlreichen Artikeln, Radiobeiträgen, Sammelbänden und Vorträgen niederschlug, ist rückblickend ebenso bemerkenswert wie sein graduelles Verschwinden seit 2015. Schon als die New Yorker Zeitschrift »n+1« sich 2009 in einem launischen Symposium dem Hipster widmete, figurierte er dort als ein im Verschwinden begriffener Sozialtypus, der wiederum nur die verzerrte und weiße Wiederkehr des Hipsters der 50er Jahre gewesen sein sollte, den Anatole Broyard 1948 eindrücklich beschrieben hatte.

Der Band, in dem das Symposium dokumentiert sowie einige weitere Texte zum Thema abgedruckt wurden, erschien im Original unter dem Titel »What was the Hipster?«. Dass der Suhrkamp-Verlag den Band 2012 wiederum unter dem seiner zeitlichen Dimension beraubten Titel »Hipster« veröffentlichte, mochte zwar auch mit dem Bedürfnis nach Aktualität zu tun haben, entsprach aber der verspäteten Ankunft des Hipsters in Deutschland. Konnte man dem »n+1«-Band noch das Bemühen um Historisierung entnehmen, galt der Hipster hierzulande als reine Gegenwart.

Der Realitätskern des Hipsters

Sozialtypen sind immer geronnene Klischees. Ohne Haftung an tatsächlichen Fragmenten der Wirklichkeit bleiben sie jedoch stumm. Gesellschaftlich virulent werden sie dann, wenn sie sich zur Projektion von Hoffnungen und Ängsten eignen, wenn sich in ihnen häufig unbegriffene gesellschaftliche Tendenzen verdichten, die zur Abwehr oder zur imaginierten Symptomatik reizen. Wie jede Ideologie sind solche Projektionsfiguren nie nur falsch, sondern besitzen einen, wenn auch verzerrten, Realitätskern. Insbesondere zwei Fixpunkte ließen sich damals in der Diskussion ausmachen: Der Verfall der Subkulturen und der Wandel der Arbeitsverhältnisse, deren Verarbeitung jeweils am Hipster ausagiert wurde.

Handelte es sich etwa beim »Spießer« um eine Figur, der eher Borniertheit und schlechter Konservatismus vorgeworfen wurden, verabscheute man am Hipster immer schon, scheinbar einen Schritt weiter zu sein – sei es in Fragen der Mode oder der Musik, auch wenn sich der Hipster gerade nicht durch Innovation, sondern häufig durch das Recycling vergangener Formen auszeichnete. Immer wieder wurde das aufschneiderische Angeben mit kulturellem Geheimwissen moniert; immer hatte er die neueste Band vor allen anderen gekannt. Zugleich vermischte der Hipster Insignien und Stilelemente, die vormals auf – längst kommerzialisierte – Subkulturen wie Punk oder Hardcore beschränkt waren, und transportierte sie in eine größere, kulturindustrielle Öffentlichkeit, sehr zum Ärger jener, die dem subkulturellen Authentizitätsversprechen immer noch anhingen.

Dem Ressentiment gegen die im Café arbeitenden Kultur- und Kreativbetriebler wiederum mochte die Ahnung zugrunde gelegen haben, dass Festanstellung und Büroplatz im neoliberalen Kapitalismus rückläufig sind und dass immer mehr Menschen von der Prekarität bedroht sind, die die Figur des Hipsters im beständigen Projektemachen kaschiert.

Vorbote der Singularisierung

Auffällig ist rückblickend, dass sich sowohl das Ressentiment gegen den Hipster als auch die tiefergehende Auseinandersetzung mit ihm fast ausschließlich in einem liberalen, im weitesten Sinne linken Milieu konzentrierten. Zwar bemühten sich aufmerksamkeitsaffine rechte Gruppen wie die Identitäre Bewegung um eine stilistische Annäherung und waren auf der Straße teilweise kaum von ihrem liberalen Pendent zu unterscheiden. Auch dass Gavin McInnes, der Gründer des poltrigen Hipster-Magazins »Vice«, zum Stammvater der Proud Boys wurde, blieb nicht unbemerkt. Aber dennoch hielt es kaum ein rechtes oder konservatives Medium für notwendig, sich derart exzessiv mit der Sozialfigur des Hipsters zu beschäftigen. Das lässt vermuten, dass es vor allem um das liberale Milieu selbst ging, um Verwerfungen, die jene Schicht besonders betrafen. Dass sich der Hipster immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sah, er sei eigentlich unpolitisch, ließ sich leicht als Selbstversicherungsgeste jenes klimabesorgten und konsumkritischen Umfelds dechiffrieren.

Warum aber ist die affektive Besetzung des Hipsters so merklich geschrumpft? Die These liegt nahe, dass nicht der Hipster einfach verschwunden ist, sondern dass sich die Prozesse und Tendenzen, die sich in ihm als Sozialfigur verdichteten und abgewehrt wurden, verallgemeinert haben und zur zweiten Natur geworden sind. So koinzidiert die kurze Karriere des Hipsters nicht zufällig mit jener Zeit Anfang des 21. Jahrhunderts, in der Andreas Reckwitz einen gesellschaftlichen Strukturwandel hin zur Singularisierung ausmachte: Individualität und Besonderheit wurden als gesellschaftliche Zielvorstellungen etabliert, nicht ohne damit den Abbau des Sozialstaats ideologisch zu kompensieren.

Das am Hipster wahrgenommene übertriebene Distinktionsbedürfnis lässt sich als Vorbote des neuen Status quo verstehen. Der letztlich auch aus ökonomischer Notwendigkeit betriebene Kult des Singulären – der erlesene Geschmack, die besonderen Möbel und die ausgezeichneten Interessen, kurz: das kuratierte Leben – betrifft heute deutlich mehr Menschen als die vereinzelten Sprösslinge der Mittelklasse, die man damals in den Großstädten antraf. Der Hipster wurde zur Projektionsfläche für das Unbehagen gegen diese, damals nur unbewusst wahrgenommene gesellschaftliche Entwicklung.

Der Hass aber, der ihm dabei mitunter entgegenschlug, leitete gesellschaftliche Wut gegen den durchaus verteidigungswerten Wunsch, ein Individuum sein zu wollen. Mit der Verallgemeinerung dieses Wunsches als Imperativ schwand auch das Bedürfnis, sich am Hipster abzuarbeiten.

Klimakleber, Terfs, alte weiße Männer

Wenn der Hipster aber verschwunden ist, was trat dann an seine Stelle? Ein destruktiver Charakter, auf den man sich in einer vergleichbaren Weise einigen kann, ist derzeit jedenfalls nicht auszumachen. Vielmehr ist eine milieuspezifische Verwilderung der Sozialtypen einerseits und des Umgangs mit ihnen andererseits zu beobachten: Die alte Mittelklasse und ein konservatives bis rechtes Milieu finden ihre Gegner in »Klimaklebern« und in »woken Social Justice Warriors«; das damit anvisierte Umfeld sieht allerorten den »alten weißen Mann«; in den um endlich wieder legitime Israel-Kritik bemühten Kreisen werden seit einiger Zeit die »Antideutschen« wiederentdeckt, und Teile der queerfeministischen Szene haben in »Terfs« ein neues Feindbild ausgemacht.

Wenngleich nicht ohne Realitätsgehalt, sind all diese Figuren so überzeichnet, wie es auch der Hipster war. Aber auch sie wären als personalisierte Verdichtungen unbegriffener gesellschaftlicher Widersprüche zu entziffern, als Abwehrkämpfe und Hypostasierung realer Entwicklungen und ideologisierte Verteilungskämpfe, in denen man sich häufig so autoritär gebärdet, wie die Gesellschaft, in der man lebt. Darin bestünde möglicherweise ein erster Schritt, der ja nicht zu Unrecht immerfort diagnostizierten gesellschaftlichen Polarisierung entgegenzuwirken. Ob diejenigen, die solche und ähnliche Sozialtypen in Anschlag bringen, dafür derzeit ansprechbar sind, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Robert Zwarg ist Philosoph und lebt in Leipzig. Zusammen mit Chris W. Wilpert gab er 2017 den Band »Destruktive Charaktere. Hipster und andere Krisenphänomene« im Ventil-Verlag heraus.

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